Gute Lebensqualität nach Lungentransplantation hängt nicht nur von den Therapien ab, sondern auch zu einem großen Teil von der Mitarbeit des Patienten.
Vortrag von Frau Mag. Smeritschnig, AKH Wien
Das nennt man compliance: die Bereitschaft des Patienten, medizinische Empfehlungen zu befolgen. Das ist kein sehr glücklicher Begriff, denn er beinhaltet das alleinige Versagen des Patienten, was nicht stimmt. Er hat sich jedoch im deutschen Sprachraum durchgesetzt und daher sprechen wir weiterhin von compliance. Für uns bedeutet das eine partnerschaftliche Beziehung zwischen Arzt und Patient. Beide sind wichtig.
Die Anforderungen an den Patienten (es ist immer auch DIE PATIENTIN gemeint) sind enorm:
- lebenslange und exakte Einnahme der Immunsuppression trotz Nebenwirkungen
- das Wahrnehmen von regelmäßigen ambulanten Kontrollterminen und Untersuchungen (Bronchoskopien)
- Selbstmonitoring (Blutdruck-, Fieber-, Peak-Flow-, Gewichts- und ev. Blutzuckermessung)
- rascher Kontakt zum LuTX-Team bei Problemen und damit auch verbunden Krankenhausaufenthalte
- Verhaltensvorschriften: das Meiden von Infekt- und Keimquellen
Gerade in der Organtransplantation kann fehlende bis mangelnde Compliance fatale Konsequenzen haben. Ein sehr interessanter Artikel von Frau Prof. Dr. Brigitta Bunzel zeigt einen Überblick über Compliance in der Organtransplantation, der kurz vorgestellt werden soll:
Absolute noncompliance (lebensbedrohlich) aufgrund:
- fehlerhafte oder gar keine Einnahme der Immunsuppression bzw. Eigenmedikation (sehr selten)
- kein bzw. zu später Kontakt zum TX-Team
Viel häufiger ist jedoch eine mangelnde Compliance zu finden, die eher zu einer Einschränkung an Lebensqualität wie durch Übergewicht oder geringerer Leistungsfähigkeit führt.Zusammenfassung dieser Untersuchung:
- jugendliche Patienten nehmen ihre Medikamente eher unregelmäßig ein
- häufige Änderung der Dosierung verwirren den Patienten und ist schwierig zu befolgen
- zweimalige tägliche Einnahme ist besser als dreimal
- die Immunsuppression wird eher eingenommen als andere Medikamente
- es gibt einen engen Zusammenhang zwischen dem nicht korrekten Einnehmen der Medikamente und dem Nichterscheinen in der Ambulanz, Termine werden häufig verschoben
- Übergewicht: bis zu 45% sind übergewichtig, davon 28% extrem übergewichtig, das bedeutet zusätzliche Belastungen, Atemnot und in Folge Erkrankungen durch das Übergewicht
- Nikotinabstinenz: egal welches Organ, viele Patienten nehmen ihr Rauchverhalten wieder auf
- regelmäßige Blutdruck- und Blutzuckermessungen werden nicht eingehalten
- Physiotherapie / körperliches Aufbautraining: 37% der Patienten betreiben keinen Sport
- Alkohol: Patienten, die vor der TX ein Alkoholproblem hatten, greifen oft in Stresssituationen danach wieder zu Alkohol, Medikamente werden vergessen oder weggelassen
- Die compliance nimmt nach dem 3. Jahr ab
LuTX-Patienten:
Aufgrund meiner Erfahrungen mit vielen LuTX-Patienten kann es in folgenden Bereichen zu Problemen kommen:
NIKOTIN
- Nikotinabhägigkeit ist eine Sucht und kann behandelt werden - Hilfe ist möglich!!
- Von 100 COPD-Patienten (die vorher geraucht haben) rauchen 30% nach der TX!
- Richtlinien (nach einer Chirurgenbesprechung – verbindlich) vor der TX:
- nur nikotinfreie Patienten werden gelistet – Kotinintest wird durchgeführt (international üblich)
- Rauchfreie Umgebung: leider unterstützt die Familie das nicht immer
- Rauchende TX-Patienten sind von einer nochmaligen Transplantation ausgeschlossen
VOR der Transplantation sollte rauchen kein Thema mehr sein, nur so kann der Patient nachher auch in Stresssituationen rauchfrei bleiben
WARUM?
- Die meisten Patienten, die vor der TX nur kurze Zeit nicht geraucht haben, beginnen wieder damit (haben wieder Luft!)
- Das Umfeld unterstützt sie nicht dabei (Angehörige rauchen zuhause)
- Rauchen schädigt definitiv die transplantierte Lunge
- Moralische Bedenken bei der Auswahl des Empfängers: wer bekommt die Lunge?
Es gibt viele Patienten, die nie geraucht habe, auf eine Lunge warten und dies möglicherweise nicht mehr erleben (CF-Patienten, Fibrose- oder PPH-Patienten
- Enttäuschung beim Team über rauchende transplantierte Patienten: es wurden viele Ressourcen, Kompetenz, Geld, Vertrauen, Untersuchungen usw. investiert
GEWICHT
Das Gewicht zu halten, ist eins der schwierigsten Bereiche in der Transplantation. Warum?
Vor der TX:
- Extrem untergewichtige Patienten: man braucht alle Energie zum Atmen, alles Essen wird sofort umgesetzt oder der Patient hat keine Luft mehr zum Essen
- Extrem übergewichtige Patienten: Essen ist der einzige Trost in dieser Situation
- Abnehmen oder zunehmen ist gleich schwierig!
Nach der TX:
- Energie wird nicht mehr durchs Atmen verbrannt
- Eine Gewichtszunahme von 10 – 15kg im ersten Jahr ist normal
- Kortison: hohe Kortisondosen am Beginn führen zu Fetteinlagerungen und Heißhunger (haben Sie Geduld!)
- Verdrängungsmechanismen:
- Zwischenmahlzeiten werden ausgeblendet
- „Aufessen“ der Mahlzeiten von Kindern / Enkelkindern
- Falsche Diäten: Salat bis zum Nachmittag und dann kommt der Hunger
- Selbstbild: „alle in der Familie sind dick – das ist halt genetisch“
Nahrungsmittelunverträglichkeit
Was tun?
- Nur mit Hilfe einer Diätassistentin zu bewältigen: ehrliche Dokumentation von Essen und Trinken zeigt, wo versteckte Kalorien lauern
- Nur mit Unterstützung der Familie möglich
VORSCHRIFTEN:
International gesehen haben wir nur ganz wenig Verbote, aber die sind gut durchdacht und machen Sinn:
- Schimmelpilz: keine Pflanzen zuhause, kein Schimmel im Wohnbereich
- Keine Vögel im Wohnbereich
- Holz- und Gartenarbeiten nur mit Mundschutz
- Kein Thermen- oder Hallenbadbesuch
- Keine Fernreisen in Länder, wo wir nicht helfen können (Asien usw.)
- Schutz vor Infektionen (kranke Angehörige, Freunde, Nachbarn…), Einkaufscenter in der Grippewelle meiden
Transplantierte Patienten sind zum Großteil hochmotivierte und mitarbeitende Patienten, da sie wissen, dass ihr Überleben und ihre Lebensqualität zu einem wichtigen Teil von ihrem Verhalten abhängt. Trotzdem gibt es eine Anzahl von Patienten, die sich bei Problemen erst sehr spät melden, Ambulanztermine nicht einhalten oder Verhaltensvorschriften negieren.
Warum verhalten sich transplantierte Patienten noncompliant?
- Leugnen der Therapiebedürftigkeit und Notwendigkeit der Nachkontrollen, das Beharren auf Unverwundbarkeit („ich bin gesund, ich brauche keine Nachkontrollen, wozu nach Wien fahren?“)
- Lebenskrisen wie Partnerschaftskrisen, Scheidung, Arbeitslosigkeit, Streit
- soziale Isolation
- Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie („ich habe Kortison weggelassen und nichts ist passiert“) – bis jetzt
- Kosmetische Nebenwirkungen: Vollmondgesicht, verstärkter Haarwuchs, Haarausfall, Wassereinlagerungen
- geringer Selbstwert („ich will die Ärzte nicht stören“)
- Selbstüberschätzung („ich kenne meinen Körper besser“)
- Angst vor Konsequenzen (Krankenhausaufenthalt, Kortisonerhöhung…)
- Ignorieren und Unterbewertung des Symptoms („es ist ja nur ein Durchfall, ich warte mal ab…)
- Alkoholismus: Medikamente werden nicht eingenommen, da zu betrunken oder aus Sorge um Wechselwirkungen
- Unbehandelte Depression
- Abschreckende Wirkung des Beipackzettels
- Keine Eigenverantwortlichkeit für sein Leben und Gesundheit
- Probleme, in der Beziehung zum Arzt/Ärztin:
- mangelndes Vertrauen zu den Ärzten („inkompetent, unsympathisch, nimmt sich keine Zeit, beantwortet keine Fragen“)
- autoritäre, moralisierende Haltung des Arztes
- Fachjargon („ich verstehe nicht, was er/sie sagt“)
- Lange Wartezeiten
- Schlechte Erreichbarkeit
Was können Sie tun?
- Medikamente regelmäßig einnehmen. Bei schlimmen Nebenwirkungen ist möglicherweise eine Umstellung auf ein anderes Medikament möglich.
- Reden Sie mit uns! Wir wissen nur das, was Sie uns sagen.
- Bei Beschwerden uns sofort informieren, nicht zuwarten.
- Ambulanztermine wahrnehmen: auch wenn es länger
- Ausdauertraining: führt zu Gewichtskontrolle, guter Lungenfunktion und guter Lebensqualität
- 2 l Flüssigkeit täglich trinken
- Nicht rauchen
- Beschäftigung suchen
- Selber Verantwortung für seine Gesundheit übernehmen
- Das AKH und die Medikamente positiv erleben
- Das Leben genießen!
Lebensqualität:
Nach der LuTX gibt es manchmal viele Forderungen von Seiten der Familie, im Job, von Freunden, die meinen, nun sei ja alles wie früher. Hier ein paar Anregungen, um über die eigene Lebensqualität nachzudenken:„Was tut mir gut?“Was erfüllt mich mit Freude? Was gibt mir Kraft, Energie und Lebensfreude?„Wer oder was tut mir nicht gut?“Unverständnis vonseiten Menschen bzgl. Medikamenteneinnahme, Kontrollen, Gewichtszunahme, Vorschriften („ach geh, fahr mit in die Therme, du bist so langweilig geworden…“)Überforderung von der Familie („jetzt bist du ja wieder gesund, jetzt kannst du ja wieder auf die Kinder aufpassen, das Haus versorgen, kochen, dich um alles kümmern…)„Energiefresser“: wer raubt mir Energie und ich bekomme nichts Positives zurückEinen „gesunden Egoismus“ leben:Sich selbst wichtig zu nehmen, gut zu sich selber sein, Auszeiten nehmen, sich abgrenzen gegenüber ForderungenSeien sie stolz auf sich - sie waren unglaublich mutig und tapfer, sich auf die unbekannte Reise „Lungentransplantation“ einzulassen!
Leben sie ihr Leben!
In diesem Sinne wünsche ich ihnen ein Leben voller Luft und Lebensqualität!!
Beate Smeritschnig
Artikel von Frau Prof.Dr. Bunzel (leider nur auf Englisch): Laederach-Hofmann K, Bunzel B (2000). Noncompliance in organ transplant recipients: a literatur review. Gen Hosp Psychiatry, 22(6): 412-424