Die beste Entscheidung meines Lebens
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
(Hermann Hesse, aus dem Gedicht „Stufen“)
3. Oktober 2018. Während ich nach einem langen Arbeitstag meine Turnschuhe in meinen Sportbeutel stecke und die Tür des Fitness-Studios hinter mir schließe, muss ich kurz innehalten. Es ist genau fünf Jahre her, dass ich meinen Reha-Aufenthalt auf Hochegg begonnen habe – etwa drei Wochen nach meiner Lungentransplantation am 12. September 2013. Jener denkwürdige Tag, an dem mein Leben eine 180 Grad-Wendung genommen hat.
Kurz zur Erklärung:
Seit bei mir mit drei Jahren die Stoffwechselerkrankung „Mukoviszidose“ diagnostiziert wurde, hatte ich mit permanenten Lungenentzündungen zu kämpfen, bis mir mit 28 Jahren buchstäblich die Luft ausging. Es einzugestehen fiel mir schwer, aber mein Lebensinhalt wurde damals fast ausschließlich von meiner Krankheit bestimmt. Der Alltag war so durchgetaktet von Therapien, Inhalationen, Essen und Ruhepausen, dass mir kaum noch Zeit zum Leben blieb. Die Tatsache, dass meine Gegenwart von einem Sauerstoffgerät abhängig und meine Zukunft in diesem Zustand nur noch eine begrenzte war, ließ mich eines Tages die Entscheidung für eine Lungentransplantation treffen. Es sollte die beste Entscheidung meines Lebens werden...
Julia heute - mitten im Leben
2 Monate vor der TX
3 Monate nach der TX
Schritt für Schritt in Richtung Zukunft
Und so kam es, dass ich an jenem 12. September vor fünf Jahren im AKH erwachte und meinen Augen nicht traute: Rund um meinen Brustkorb befand sich ein dicker, weißer Verband und auf der Wand begannen sich die Umrisse eines bunten Plakates mit den Worten „Du hast es geschafft!“ abzuzeichnen... Langsam dämmerte es mir … ich hatte tatsächlich meine Lungentransplantation hinter mir! Sekunden später stand schon ein Pfleger an meiner Seite, der meinen Tubus entfernte und mir einen Block zum Schreiben in die Hand drückte (ich war noch zu schwach zum Sprechen) und meine Eltern informierte. Wenige Stunden später stand ich mit der Hilfe meines Vaters zum ersten Mal nach der Operation auf eigenen Füßen. Zwar noch mit Sauerstoffschlauch in der Nase (die neue Lunge muss sich erst entfalten), aber immerhin! Meine Devise war es, so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen. Ein Vorsatz, der sich zwischendurch als harte Prüfung erwies.
Zum einen waren meine Muskeln unheimlich geschwächt und zitterten bei der geringsten Anstrengung. Zum anderen hatte ich trotz neuer Lunge ständig das Gefühl, keine Luft zu bekommen – obwohl mir das Pulsoxy normale Werte versicherte. Und dann hatte sich auch noch Wasser in dem neuen Organ angesammelt, das auf die Rippen drückte und schmerzte, auch nachts. So war anfangs jede Bewegung eine Überwindung – und doch zugleich ein weiterer Schritt Richtung Zukunft. Nachts merkte ich erstmals einen gewaltigen Unterschied: Es war möglich, ganz flach im Bett zu liegen – ohne Polsterberg. Kein Knirschen, kein Sekret, das in den Atemwegen rasselte. Die Erfahrung eines erholsamen Schlafs ohne Atemnot war mir in den letzten zehn Jahren vollkommen fremd geworden! Fortan ging es in erster Linie bergauf. Nach drei Wochen konnte ich das AKH verlassen und meine Reha auf Hochegg beginnen. Wenn ich so zurückdenke, grenzt es noch immer an ein Wunder, dass der Genesungsprozess nach so einem großen Eingriff so rasch verläuft!
Sechs Jahre nach der TX
3 Monate nach der TX
Die Reha – eine Wohltat für Körper und Seele
Eine Stunde lang dauerte die Fahrt mit dem Rettungswagen nach Hochegg. Draußen, vor dem Fenster, zogen die Straßen Wiens vorbei: Lachende Fußgänger, verlockende Geschäftsauslagen, kurzum – das Leben! Ich konnte es kaum erwarten, wieder ein Teil davon zu sein. Als ich aus dem Wagen stieg, stach mir sofort das Blumenbeet vor dem Reha-Zentrum ins Auge. Nach drei Wochen, die ich hauptsächlich im Gebäudeinneren des AKH verbracht hatte, war der Anblick der Blüten und das Einatmen der gesunden, klaren Bergluft eine wahre Wohltat! Die vier Wochen auf Hochegg waren eine schöne und erholsame Zeit, die ich nicht missen möchte. War ich bei meiner Ankunft noch kaum in der Lage dazu gewesen, die Strecke von meinem Zimmer bis zum Speisesaal zurückzulegen, nahm ich am Ende des Monats schon an kleinen Wanderungen teil und lief die Treppen bis ins vierte Stockwerk, ohne allzu sehr außer Atem zu sein. Bei dem täglichen Arztgespräch konnte ich meine Unsicherheiten loswerden und die Gespräche mit der Gesundheitspsychologin waren sehr hilfreich, denn bei aller Freude und Erleichterung lag doch eine traumatische Zeit hinter mir, deren Verarbeitung noch eine ganze Weile dauern würde. In dieser Hinsicht war der Austausch mit anderen Transplantierten eine ganz wesentliche Erfahrung. Es tat so gut, mit Menschen zu sprechen, die dasselbe erfahren hatten. Und es war ermutigend, sie dabei zu beobachten, wie sie ihr Leben meisterten.
Zurück ins Leben
Nach einem Monat hieß es schließlich, zurück nach Hause zu kehren. Der hässliche Sauerstofftank war mittlerweile vom Lieferanten abgeholt worden und in meiner neuen Wohnung erinnerte nichts mehr an die harten Wochen und Jahre davor. Es war im wahrsten Sinne des Wortes der Start in ein ganz neues Leben für mich! Nicht, dass ich all die Jahre zuvor unglücklich gewesen war. Auch die schwierigen Zeiten hatten stets ihre kleinen und großen Lichtblicke gehabt. Aber ich hatte Zeit meines Daseins immer mit Einschränkungen gelebt. Seien es die täglichen, zeitraubenden Inhalationen, der zermürbende Husten oder die permanente Sekretproduktion in meiner alten Lunge. Wie unbekümmert es sich dagegen anfühlte, morgens federleicht aus dem Bett zu springen.
Gewisse Herausforderungen blieben aber auch bestehen. Die regelmäßigen Arztbesuche, gesundheitliche Komplikationen (die sich aber bisher alle bewältigen ließen!!) oder einfach die Tatsache, dass ich durch die Immunsuppressiva vorsichtiger durchs Leben gehen muss. Nach wie vor achte ich darauf, dass ich mich nicht erkälte, habe rohes Fleisch von meiner Speisekarte gestrichen und vermeide es, in der Gartenerde zu wühlen.
5 Jahre Post-TX: Lissabon
Sechs Jahre Post-TX: New York
Kleine Einschränkungen, große Chancen
Aber was sind diese „Einschränkungen“ verglichen mit den Chancen, die das Leben jetzt bereithält?
Zwei Jahre nach der Transplantation bin ich wieder komplett ins Berufsleben zurückgekehrt. Inzwischen ertappe ich mich in regelmäßigen Abständen dabei, mich über berufliche Probleme zu ärgern. Dann muss ich schmunzeln, weil es ein Zeichen dafür ist, tatsächlich wieder im Alltag angekommen zu sein. Die Zeit, die früher für Inhalationen und Physiotherapie notwendig war, investiere ich jetzt in Spaziergänge mit meinem Hund, ins Fitness-Studio und in Wanderungen (Sport ist wesentlich, um möglichst lange fit zu bleiben!!) Ich bin den „Naturfreunden“ beigetreten und habe seither so manchen Berggipfel erklommen – mit Tränen aus Dankbarkeit! Des Weiteren habe ich an mehreren Kurzstrecken-Läufen teilgenommen und ich arbeite hart daran, meine Bestzeit weiter zu steigern. Außerdem habe ich meine Flugangst überwunden und zu meiner Reisefreude zurückgefunden. Ich liebe es, andere Länder zu entdecken, fremdes Essen zu kosten und mit den Einheimischen zu plaudern – ohne dass mir dabei die Luft ausgeht!
All jenen, die noch auf ein Organ warten oder die Transplantation gerade hinter sich gebracht haben, möchte ich Mut machen: Nichts ist so schön wie das Gefühl der Freiheit, wenn der Körper keinen Widerstand leistet! Träume machen wieder Sinn und können wieder wahr werden! Und dafür zahlen sich alle Entbehrungen davor (manchmal auch danach) aus. Und: In den fünf Jahren seit der Transplantation habe ich die Erfahrung gemacht, dass sich auch unvorstellbar große Herausforderungen bewältigen lassen, wenn es so weit ist – und dass man sich darüber nicht schon im Vorhinein den Kopf zerbrechen soll.
In diesem Sinne: Habt Mut und stürzt euch ins Leben! Ihr habt es verdient, glücklich zu sein!