Von der Idee zur Arzneimittelzulassung
Am 8. November war Univ. Doz. Dr. Reinhard Länger beim Themenabend der SHG NÖ in St. Pölten zu Gast.
Er ist Abteilungsleiter für pflanzliche, homöopathische und Veterinärarzneimittel im Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen. In seiner langjährigen Tätigkeit hat er selbstverständlich auch Einblick und weiß um die Entwicklung, Zulassung und Überwachung von Medikamenten.
Am Anfang steht ein Krankheitsbild und die Suche nach Heilmethoden
Bis ins 18. Jahrhundert bestand viel aus Versuch und Irrtum, Heilmittel aus der Natur (wie Pflanzen und Mineralien) wurden ausprobiert. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde die Naturwissenschaft durch Beobachtung von Wirkungsweisen und systematischer Untersuchungen Bestandteil in der Suche nach Heilmitteln.
1785 erfolgte die Publikation der ersten ‚klinischen‘ Prüfung. Der Roter Fingerhut, Digitalis purpurea, wurde durch William Withering sozusagen zum ersten Medikament.
Erste gezielte Behandlungen gelangen ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts. Morphin, Cocain, Atropin, … wurde entdeckt. Manche starken unerwünschten Wirkstoffe wurden dokumentiert. In weiterer Folge wurden chemische Abwandlungen der natürlichen Substanzen entwickelt.
Irrwege pflasternden den Weg
Aufgrund fehlende Testmöglichkeiten, wurden Wirkstoffe ungeprüft am Menschen angewandt. Zum Beispiel wurde Cocain zur Anwendung als lokales Betäubungsmittel am Auge eingesetzt. Die Suchterzeugung erst später wahrgenommen. Heroin wurde als Schmerzmittel angewendet und so weiter.
Mit Beginn der industriellen Herstellung begann im Jahr 1899 Fa. Bayer mit dem Verkauf von Aspirin Acetylsalicylsäure ). 1928 wurde das Penicillin entdeckt und ab den 1940er Jahren wurde industriell produziert. Noch immer gab es kein systemischen Untersuchen. Bis 1961 der Contergan-Skandal aufgedeckt wurde. Dieses Medikament mit dem Wirkstoff Thalidomid wurde als besonders sicher und gegen Schwangerschaftserbrechen eingesetzt. Die schweren Fehlbildungen an Extremitäten von Kindern wurden lange nicht mit Contergan in Zusammenhang gebracht und daher erst 1961 vom Markt genommen.
Die Folgen des Contergan – Skandals waren die Entwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen für Arzneimittel. Arzneimittel müssen vor der Verwendung am Tier und dann erst am Menschen geprüft werden!
Seither werden die Anforderungen an Arzneimittel ständig erweitert, eine Vermarktung darf erst nach behördlicher Zulassung erfolgen. Die Produktinformation muss ebenfalls begutachtet und genehmigt werden und auch Werbung muss klar definierten Kriterien entsprechen.
Stufen der Arzneimittelentwicklung
Bedarfserhebung werden aus mehreren Blickwinkeln durchgeführt. Aus der Sicht „öffentliche Gesundheit“, wird geschaut welche Krankheit behandelt werden soll und wie zum Beispiel Nebenwirkungen verringert werden können. Aus Sicht der Arzneimittelhersteller ist es die Sicht, welche Krankheit gewinnbringend behandelt werden kann. Aktuelle Probleme sind die Entwicklung neuer Antibiotika, Nischenprodukte und die Verlagerung der Produktion in Billig-Lohn-Länder und die Lieferketten.
Eigenschaften von möglichen Wirkstoffen
Wirkstoffe müssen folgende Eigenschaften aufweisen:
Muss den Zielort im Körper erreichen, an dem er wirken soll, ohne vorher abgebaut
oder ausgeschieden zu werden
Muss sich am Zielort mit Molekülen des Körpers oder eines Erregers verbinden
Muss vom Körper später wieder abgebaut oder ausgeschieden werden können
Sollte auch bei mehrfacher Überdosierung nicht giftig sein
Sollte für Embryonen unbedenklich sein
Nebenwirkungen dürfen nicht zu gefährlich ausfallen. Gleiches gilt für Wechselwirkungen mit gleichzeitig eingenommenen anderen
Medikamenten oder Nahrungsmitteln
Muss zuverlässig großtechnisch herstellbar sein
Prüfungen: ein langer Weg - Vom Schnelltest bis zur Anwendung am Menschen
Am Anfang stehen meist Massentests
Viele Wirkstoffkandidaten werden in Kleinstmengen mit verschiedensten ‚Zielstrukturen‘ (Targets) kombiniert. Dies passiert oft Roboter-gesteuert. Anhand der Ergebnisse mögliche Modifikationen an den potentiellen Wirkstoffen werden nur vielversprechende Strukturen weiterentwickelt oder gehen in eine Nicht-klinische Entwicklung. Rezeptormodelle, Zellmodelle, Gewebemodelle, Tiermodelle sind darauf die Folge. In Rezeptormodellen geht es um das Verständnis des Wirkmechanismus (in vitro). In Zellmodellen wird getestet ob die Hypothese weiter zutreffend ist. In den Gewebe- und Organmodellen geht es um die Frage ob der der Wirkstoff an den Rezeptor gelangt (ex vivo). In Tiermodellen (in vivo) wird geschaut ob der Wirkstoff an den Rezeptor gelangt, wie kann der Verabreichungsweg und die Dosierung sein und der Frage nach der Toxizität wird nachgegangen. Tierversuche an verschiedenen Tierarten sind immer ein kontroverses Thema, aber trotzdem notwendig und wichtig.
Nur wenn nicht-klinische Tests positiv abgeschlossen sind, geht es an die klinische Entwicklung am Menschen. Alle experimentellen Untersuchungen mit Menschen bedürfen der Zustimmung einer Ethikkommission und der zuständigen Arzneimittelbehörde. Alle Studienteilnehmer müssen aufgeklärt werden und schriftlich der Teilnahme zustimmen. Eine klinische Prüfung besteht aus 3 Phasen (vierte Phase nach Zulassung möglich).
Phase 1: ‚First in man‘
Erstmalige Gabe an Menschen
Wenige (20-80) gesunde Probanden (nur in Ausnahmefällen Patienten), oft mehrere kleine Studien nacheinander
Intensive Beobachtungen, Auswertungen, ….
Verträglichkeit? Passt ungefähr die Dosierung? Schwere Nebenwirkungen? Laborparameter? Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung des Wirkstoffs?
Mit den Erkenntnissen aus der Phase I wird die Darreichungsform entwickelt
Parenteral: Injektion, Infusion (wenn Wirkstoff im Magen-Darm-Trakt verändert wird, bevor er zur Wirkung kommt; wenn rascher Wirkungseintritt erforderlich ist, ….)
Orale Darreichungsformen: Tabletten, Filmtabletten, Kapseln, .....
Inhalationen, Anwendung auf der Haut, Suppositorien, am Auge, …..
• Wirkstoff muss je nach Wirkungsform gut freigesetzt werden. Muss sich zB eine Tablette schnell im Magen auflösen, darf aber den Wirkstoff nicht verändern und so weiter. Ein medikamentöses Pflaster muss den Wirkstoff langsam und kontinuierlich an die Haut abgeben.
Phase 2: Erprobung mit wenigen Patienten (ca. 50-500)
•Wirksamkeit:
Wirkt das Arzneimittel?
Finden der richtigen Dosis
•Was macht der menschliche Körper mit dem Wirkstoff?
Plasmakonzentrationen, Kinetik nach einmaliger Gabe, mehrmaliger Gabe (reichert sich der Wirkstoff an?)
Welche Abbauprodukte entstehen?
Abbauprodukte auch wirksam, oder toxisch?
•Nebenwirkungen werden beobachtet
Phase 3: Erprobung mit vielen Patienten (ca. 200 – 10.000)
•Meist an mehreren Kliniken
•Wichtig: Studiendesign!
Hypothese muss vorher festgelegt werden (prospektiv):
Primäre Endpunkte (z.B. Blutdruck sinkt bei behandelten Patienten um 20 mm Hg)
Sekundäre Endpunkte (z.B. Patient fühlt sich wohler, weniger Krankenstandstage, ..)
Statistische Methode, Signifikanzniveaus
•Klinische Studie muss ‚kontrolliert‘ sein
Vergleich neues Arzneimittel – unwirksames Scheinmedikament (Placebo)
Vergleich neues Arzneimittel – etablierte Therapie
Vergleich neues Arzneimittel – etablierte Therapie – Placebo
Crossover design: Jeder Teilnehmer erhält Arzneimittel, dann Placebo (oder umgekehrt)
Phase 3: Erprobung mit vielen Patienten (ca. 200 – 10.000)
•Patienten sollten möglichst homogen sein
Definierte Ein- und Ausschlusskriterien (Alter, Diagnose, …)
Häufige Ausschlusskriterien:
Kinder, Jugendliche
Schwangere
Stillende
•Ergebnisse einer klinischen Studie müssen möglichst objektiv sein
Patienten werden zufällig den Studienarmen zugeteilt (randomisiert)
Weder Patient noch behandelndes Personal wissen, welchem Studienarm der Patient zugeteilt ist (doppelblind)
‚Sponsor‘ (= Pharmafirma) darf keinen Einfluss haben
Jede Abweichung vom Studienprotokoll muss protokolliert und bewertet werden
Z.B. Ausscheiden von Patienten während der Studie
•Statistische Auswertung
Im besten Fall: neues Arzneimittel ‚statistisch signifikant überlegen‘ (Placebo) oder ‚nicht unterlegen (etablierte Therapie) aber evtl. besser verträglich
Ausnahmen aus dem Prüfungsumfang sind zB für Kinderarzneimittel, Arzneimittel für ‚seltene Krankheiten‘ und für Krebs-Arzneimittel möglich.
Zulassungsverfahren EU-weit vereinheitlicht!
Arzneimittel müssen vor Vermarktung behördlich zugelassen werden
•Antragsteller erstellt ein ‚Dossier‘
•Einreichen bei nationaler Behörde oder bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA
•Bezahlung der Gebühren
•Validierung des Antrags (sind die Unterlagen vollständig, alle Berechtigungen vorhanden)
•Zulassungsverfahren
Begutachtung – Rückfragen an Antragsteller – Begutachtung
Festlegung der Produktinformation
Festlegung Rezeptpflicht - rezeptfrei, Apothekenpflicht,
•Bescheid über Zulassung
Hersteller von Arzneimitteln müssen eine behördliche Genehmigung für die Herstellung besitzen. In regelmäßigen Betriebsinspektionen werden die Eignung der Räumlichkeiten und Anlagen, Dokumentation, EDV, Hygiene, verantwortliche Personen, … geprüft. Genehmigung muss alle 3 Jahre erneuert werden. Die Herausforderungen sind die Verlagerung der Herstellung in Billiglohnländer (auch diese müssen inspiziert werden!), die Lieferketten und dass auf jeden Fall ein verantwortlicher Unternehmer innerhalb der EU sein muss.
Medikamente sind teuer
Ein neuer Wirkstoff kostet bis zu 2 Milliarden Dollar (es müssen auch Fehlentwicklungen mitfinanziert werden). Bekannte Wirkstoffe kosten zwar deutlich weniger, aber dennoch erforderlich sind die pharmazeutische Entwicklung, das Zulassungsdossier und die Verfahrenskosten bei der Behörde.
Die Zentrale Zulassung über Europäische Arzneimittelagentur kostet bis zu 260.000 Euro. Der Gebührentarif in Österreich bewegt sich in einem Rahmen von ca. 48.000 € (neuer Wirkstoff) bis ca. 500 € (homöopathisches Einzelmittel). Behörden sind gesetzlich an eine Verfahrensdauer gebunden von 210 Tagen gebunden. Bei Rückfragen an den Antragsteller wird die Verfahrensuhr gestoppt, bis die geforderten Unterlagen nachgereicht wurden. Nach der erteilten Zulassung wird der Verkaufspreis fixiert. Der Zulassungsinhaber KANN Antrag beim Dachverband der Sozialversicherungsträger um Aufnahme in den Erstattungskodex stellen.
Generika und Biosimilars
Erst nach Ablauf der Datenschutzfrist des Originators
Neuentwicklungen dürfen nicht sofort kopiert werden, sondern frühestens nach 10 Jahren. Generika sind wirkstoffgleiche Nachahmerprodukte (Wirkstoff, Menge, Darreichungsform).
Meistens ist ein Nachweis der Bioäquivalenz erforderlich (steht der Wirkstoff in gleicher Menge zur Verfügung, Prüfung bei der die Plasmakonzentrationen nach Einnahme gemessen und verglichen wird). Bei identer Produktinformation sind die Herstellungskosten geringer und daher fallen auch geringere Kosten für die Sozialversicherung an. Biosimilars sind Proteine, die sich nicht so einfach nachmachen lassen wie ein chemisch-synthetischer Wirkstoff (zB Antikörper, Hormone, Insuline).
Spannungsfeld Arzneimittelversorgung – Finanzierung des Gesundheitssystems
Es gibt immer wieder Probleme mit Generika, Biosimilars. In der Theorie ist die Wirksamkeit von Originator und Generika gleich. Die Realität zeigt aber trotzdem immer wieder Meldungen, dass die Wirksamkeit anders / geringer ist. Dies ist besonders problematisch bei lebenswichtigen Arzneimitteln. In der Frage der Sicherheit ist durch andere Farbe, Gestaltung, Verpackung öfter eine Verwechslungsgefahr, eine Unsicherheit beim Patienten besteht.
Webtipps:
Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen: https://www.basg.gv.at/
Arzneispezialitätenregister: https://aspregister.basg.gv.at/
Europäische Arzneimittelagentur EMA: https://www.ema.europa.eu/en
Zusammenfassung Silvia Scholz
Überprüft durch Univ. Doz. Dr. Reinhard Länger